DSInFORMATION

In Zürich fand wieder ein lockerer Rundgang mit basslastiger Begleitmusik und gemeinsamen Einwurf der Stimmcouverts statt.

Nein zur DSI, DSI 2016, Durchsetzungsinitiative, Richtungsentscheid, Schweiz 2016, SVP

Nachdem Linke und Gutmenschen über die letzten Jahre von der nationalistischen Propaganda ausgiebig zum Feindbild einer eidgenössischen Identität aufgebaut wurden, der rechte Financier Blocher gar von einem Weg in die Diktatur ohne das Korrektiv SVP bramarbasierte, steht bei der Durchsetzungsinitiative definitiv ein Richtungsentscheid an. Es geht um Gleichheit vor dem Gesetz, den (nicht immer recht habenden) Volkswillen als ultima ratio, die Brutalisierung von Souveränität in eine «Souveränität der Willkür»:

Man kann den Ausländern zeigen, wer Herr im Haus ist. Es ist die Form von Macht, die Kinder auf dem Pausenplatz ausüben, wenn das Rudel sagt: Du gehörst nicht dazu.
Bei der Initiative ist diese Kindergrausamkeit mit der schlimmsten Grausamkeit kombiniert, die Erwachsene erfunden haben: mit Bürokratie. Einer gesichtslosen Maschine, die Urteile nach Buchstaben exekutiert, ohne Ansehen von Fall und Person. (Constantin Seibt, Tagesanzeiger 11.02.2016)

Schwarze Schafe, Schwarze Stiefel, Schwarze Raben — es muss aufhören mit dieser permanenten perfiden Schwarzmalerei. Schliesslich ist die Welt viel bunter und farbenfroher!

Saturday Night Fever

Als die malerische Herbstsonne sich an diesem viel zu warmen Novembertag langsam aber sicher zur Ruhe legte, stand noch der Abholtermin bei der universell aufgestellten Apotheke an, welche jene mehrfach gegen den Erdmittelpunkt gerichtete Essenz für die Behandlung einer Kinderkrankheit bereit hielt, die natürlich sanft aber gründlich helfen solle.

Polizeikette, Schwarze Ritter, Demo Zürich

Vor dem pharmazeutischen Spezialgeschäft standen gerade gut gewappnet schwarze Ritter abwehrbereit und Furcht einflössend im Zwielicht quer über die Hauptstrasse. Mit Tränengasgewehren im Anschlag versperrten sie einer ebenfalls überwiegend schwarz gewandeten Gruppe von ca. 50 Demonstranten den Weiterzug. Feuerwerksraketen flogen in die Luft und es knallte laut. Schweizer Flüchtlingspolitik schien das Thema, aber dem Kind war dies völlig egal, es hatte Angst und da halfen auch gut geschüttelte Tropfen nicht weiter. Also war ein gründliches Gespräch nötig über im Nachhinein wie Selbsterfahrungstrips erscheinende Momente im Blaulicht geschwängerten Berlin der 80er, nächtliche Polizeiknüppel auf der Oranienstrasse und Reizgas im SO 36, über besetzte Häuser und das Demonstrationsrecht generell. Wie Südafrika wieder schwarz wurde und Teutonien eins. Über Wasserwerfer während S 21 und den tätowierten Verkehrspolizisten aus dem Kindergarten. Über Festnahmen und Verbrechen, Einbruch und Diebstahl, über Che Guevera bis schliesslich Krieg und dessen Folgen, nämlich Flüchtlinge. Moralisch war der Kreis endlich geschlossen, metaphorisch Ritter und Demonstranten aufgelöst im sprudelnden Chaos der Welt und das Kind schlief ein und durch.
Banal aber uff.

Déjà-lu

Ein Schnurps grübelt

Also, es war einmal eine Zeit,
da war ich noch gar nicht da.
Da gab es schon Kinder, Häuser und Leut
und auch Papa und Mama
jeden für sich – bloß ohne mich!

Ich kann mir´s nicht denken. Das war gar nicht so,
Wo war ich denn, eh es mich gab?
Ich glaub, ich war einfach anderswo,
nur, dass ich´s vergessen hab,
weil die Erinnerung daran verschwimmt.
Ja, so war´s bestimmt!

Und einmal, das sagte der Vater heut,
ist jeder Mensch nicht mehr hier.
Alles gibt´s noch: Kinder, Häuser und Leut´,
auch die Sachen und Kleider von mir.
Das bleibt dann für sich
bloß ohne mich.

Aber ist man dann weg? Ist man einfach fort?
Nein, man geht nur woanders hin.
Ich glaube, ich bin dann halt wieder dort,
wo ich vorher gewesen bin.
Das fällt mir dann bestimmt wieder ein.
Ja, so wird es sein!

[Michael Ende]

Die neue Seltsamkeit

Man sagte mir, es sei soweit
Es komme eine Seltsamkeit
Und alles, was bis jetzt noch war
Sei dann auf einmal nicht mehr da

Und noch bevor der Morgen graut
Werden vereinzelt Stimmen laut
Dass man sich zwar nicht sicher sei
Doch man sei auf jeden Fall dabei

Man wisse zwar nicht, wann und wie es passiert
Und ob man gewinnt, oder ob man verliert
Man habe vorsorglich schon mal Geld gespart
Und für Donnerstag dem Verein abgesagt

Man sei durchaus bereit, ein and’res Leben zu führen
Im Augenblick stünde man zwar noch zwischen den Türen
Es sei ja auch schwierig, so von heute auf morgen
Man habe ja auch noch den Hund zu versorgen

In manchen Gegenden habe es früh angefangen
Man sei dort vor Jahren spazieren gegangen
Seinerzeit wusste man nicht, was es ist
Doch man ahnte bereits, hier und dort rührt es sich

Aber nicht nur an Plätzen fiele es auf
Auch zu bestimmten Zeiten im Tagesablauf
In der Stunde nach Sonnenuntergang
Kündigte sich eine Veränderung an

Doch man habe natürlich, wenn man ehrlich sei
Damals all das verdrängt, was man heute begreift
Und man habe höchstens unbewusst registriert
Dass etwas um sich greift, dass etwas passiert

Und erst jetzt komme man wohl nicht umhin
Sich einzugestehen, dass hier etwas spinnt
Die Zeichen werden deutlich, es sei soweit
Es komme nun eine Seltsamkeit.

Und ich liege im Bett, und ich muss gestehen
Ich habe große Lust, mich nochmal umzudrehen
Draußen, wo sich die Nacht mit dem Tageslicht mischt
Scheint etwas vor sich zu gehen, das auch mich betrifft

Writer(s): Jan Klaas Mueller, Arne Zank, Dirk von Lowtzow Copyright: Hanseatic Musikverlag Gmbh & Co. Kg

Mal du Suisse

Heimweh
Das Wort taucht Mitte des 16. Jahrhunderts zum ersten Mal auf. Es ist Schweizer Dialekt: Weh steht für Schmerz, aber auch für Sehnsucht. Heim bezeichnet Haus und Heimat. «Heimnoti» heisst es im Althochdeutschen, ein Wort das Theologen geprägt haben. Bis zum Frühmittelalter hat man damit das Himmelreich gemeint, das Jenseits. Erst danach ist aus dem himmlischen Heimnoti die irdische Heimat geworden. Heimweh – das ist die Sehnsucht, in der Fremde wieder daheim zu sein.

Es ist der Medizinstudent Johannes Hofer, der Heimweh erstmals als Krankheit definiert. 1688 schreibt er an der Universität Basel über Heimweh seine Dissertation. Für die medizinische Fachliteratur prägt er den Begriff Nostalgia, aus dem Griechischen Nostos für Rückkehr und Algos für Schmerz. Das Schweizerdeutsche Heimweh wird erst in der Romantik zu einem deutschen Wort.

Unter der neuartigen Krankheit leiden auffallend häufig Schweizer, die als Söldner fern der Heimat im Dienst stehen. Der Arzt Johannes Hofer vermutet, dass das ständige Denken ans Vaterland die Lebensenergie erschöpft, welche durch Nervenröhren zwischen Körper und Gehirn fliesst. Bald schon nennt man Heimweh die Schweizer Krankheit.

Bei den Schweizer Soldaten, die in Frankreich stationiert sind, beobachtet man, dass der Kuhreihen, ein bekanntes Hirtenlied, eine fatale Wirkung ausübt. Sobald das Lied erklingt, werden die Söldner vom Heimweh regelrecht übermannt und zur Desertation getrieben. Deswegen ist es in den französischen Heeren im 18. Jahrhundert bei Todesstrafe verboten, den Kuhreihen zu singen oder zu pfeifen, denn die Heimat – sie ruft.

Die Schweizer Krankheit äussert sich durch Symptome wie Schlaflosigkeit, Entkräftung, Fieber, Abzehrung und Schwermütigkeit. Wenn sie nicht rechtzeitig kuriert wird, führt sie zum Tod. 1569 dokumentiert der Schweizer General Ludwig Pfyffer in seinem Bericht über die Schlacht bei Jarnac den Tod eines Soldaten: «Es ist Hauptmann Tamans, Vorfähnrich, der Sunneberg gestorben von Heimweh.» Dass er auch verwundet gewesen ist, erwähnt Ludwig Pfyffer mit keinem Wort. Ab jetzt ist klar: an Heimweh kann man sterben.

Die Heimat lockt — das Verlangen, in die Heimat zurückzukehren kann stärker sein, als der Wille zu leben. Heimweh zerrüttet Geist und Körper. Im 18. Jahrhundert obduzieren Wissenschaftler die Heimweh-Toten. Als sie die Leichen öffnen, sehen sie Schreckliches: «Die Gehirne sind übermässig angeschwollen, vereitert und entzündet, voll schwarzen Blutes, die Lungen und Herz mit geronnenen Blut erfüllt, der Magen zusammengeschrumpft und manchmal findet man sogar das Herz gänzlich zerrissen.»

Die Heimweh-Plage unter den Schweizer Söldnern nimmt immer grössere Ausmasse an. Die Wissenschaftler der damaligen Zeit rätseln über die Gründe. Warum befällt Heimweh auffallend oft Schweizer? Es liegt an der Bergluft, konstatiert 1705 der Gelehrte Johann Jakob Scheuchzer: «Die eigentliche Ursache des Heimwehs ist die Änderung des Luftdrucks. Die Schweizer beispielsweise leben in den Bergen, in feiner leichter Luft. Ihre Speisen und Getränke bringen auch in den Körper diese feine Luft hinein. Kommen sie nun in das Flachland, so werden die feinen Hautfäserchen zusammengedrückt, das Blut wird gegen Herz und Hirn getrieben, sein Umlauf verlangsamt, und, wenn die Widerstandskraft des Menschen den Schaden nicht überwindet, Angst und Heimweh hervorgerufen. Besonders junge Leute mit feiner Haut und solche, die mit Milch genährt sind, erkranken.»

Heimweh schmerzt, macht krank, nicht nur in der Schweiz. Homesickness, la maladie du pays, Heim-weh. Heimweh kann man lindern, nicht aber heilen. Der Botaniker und Homöopath Clemens von Bönninghausen schlägt in seiner Physiognomik der homöopathischen Arzneimittel Capsicum Annuum vor, den Spanischen Pfeffer. Er soll bei Heimweh helfen, das mit Backenrötung und nächtlicher Schlaflosigkeit einhergeht. Und dennoch: gegen Heimweh ist kein Kraut gewachsen. Gegen Heimweh bewährt sich nur ein Mittel: Heim-gehen.

Heimat, das ist aber nicht nur die geliebte Landschaft, das sind auch die Menschen, die dort leben. Das Heimweh nach den Bergen und Bäumen verwebt sich mit der Sehnsucht nach Familie.

Mascha Kaléko, Heimweh, Homesickness

Mit dem gesellschaftlichen Fortschritt wandelt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Heimweh-Empfinden. Das Fernsein von der Heimat verliert an Schrecken, dank der besseren Kommunikations- und Reisemöglichkeiten. Die ehemals tödliche Schweizer Krankheit ist Mitte des 20. Jahrhunderts endgültig zu einem Gefühl geworden. Ein Gefühl allerdings, das krank machen kann.

(aus: Passage, DRS 2, 2010)

Mesmerismus

Der “animalische” (tierische) Magnetismus bildet den theoretischen Überbau für eine okkulte Heilmethode aus dem 18. Jahrhundert, welche von einem bloss vermuteten, jedenfalls nicht-stofflichen Fluidum ausgehend etwaig blockierte Lebenströme mittels Handauflegen zu reaktivieren versucht. Panta rhei, dachte sich der Grieche. Chi, sagt der Chinese und meint das Gleiche.

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Tierischer Magnetismus gefällig?

Alternative Heilmethoden sind selbst in der nachgöttlichen Neuzeit eine gefragte und gut bezahlte Tätigkeit von Heilern, Sehern und Handauflegern. Ob Osteopathie, TCM, Homöopathie oder einfache Gesprächstherapie, es ist für alle Geschmäcker und Lebenslagen (vor)gesorgt. Die ganzheitliche Behandlung des ehedem doktrinär streng dreigeteilten Individuums scheint zeitgemäss, vor allem aber zu wirken.

In einer mitteilungsbedürftigen Gesellschaft ist jedweder kommunikativer Stress bzw. Stau ein beinahe schon trendiger Befund. Seelenstriptease ist gängig und gilt als moderne und durchaus aufgeschlossene Selbstkasteiung. Seit das Nackigmachen in den therapeutischen Beichtstühlen seine Anzüglichkeit verloren hat, scheint alles Spruchreife verhandelbar. Wenn aber alles benennbar ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass jedwede Ent-Äusserung verständlich ist. Systembedingt produzieren Overhead und Redundanz jedoch fortlaufend neue Verwirrung.

My baby baby, balla balla
My baby baby, balla balla
My baby baby, balla balla
My baby baby, balla balla
Ooh balla balla.

Jenes zeitgenössiches Mitteilungsbedürfnis hat einen recht trivialen, zivilisatorischen Grund: die andauernde Entmenschlichung in einer durchtechnisierten Realität nebst all der kommunikativen Störgeräusche, in der die zunehmende Reizüberflutung kaum bewältigt, geschweige denn geordnet werden kann. Das permanent beschleunigte Dasein ist einfach zu rasant für unsere altbackenen Sinne, wird kaum erfahren und erlebt, weil es in dieser Rastlosigkeit schlicht an Zeit für Details fehlt. Digitale Hilfsmittel, ursprünglich als kommunikative Krücken entwickelt, erscheinen so als undifferenzierte Antennen, die nur noch mehr unverdauliche Information zuführen.

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Klumpprinzip: im Ex-Magnet-Haus verspricht heute ein psychotherapeutischer Psychosomatiker psychiatrische Heilung

Wo einst Naturreligionen und Monotheismen den traditionellen Weg zum Seelenheil aufzeigten, versperren heute zahllose Hinweise, welche den Weg oder gar das Ziel zeigen wollen, die Sicht aufs Wesentliche, nämlich das Diesseitige, das hier und jetzt. Zudem kommen therapeutische Angebote oft einseitig pekunär orientiert daher. In der Seelenheilkunde werden laufend neue Krankheitsbilder beschrieben und zeitnah therapeutisches Expertenwissen feil geboten.

Die Menschmaschine soll mit Hilfe kostenpflichtiger Wartungsinstanzen bis hin zum der Persönlichkeitsoptimierung dienenden und in geradezu inflationärer Weise allgegenwärtigen Coaching möglichst reibungslos und effizient funktionieren, um ganz profan den Mehrwert zu mehren.

Alles fliesst — möglichst profitabel — von unten nach oben.

Unsere Freundschaft ist das Geld
Mit dem wir bezahlen was man zahlen muss
Alles muss im Überfluss vorhanden sein
Dann sind wir nie allein