Anlässlich des Jubiläums vom Zürcher Kandidaten-Turnier anno 1953, welches sich damals satte zwei Monate (!) Zeit nahm, um aus 15 Kandidaten denjenigen herauszufiltern, der es mit dem amtierenden Weltmeister aufnehmen sollte, findet ein im direkten Vergleich eher schmächtig anmutendes doppelrundiges Vierer-Turnier am Paradeplatz statt. Immerhin hat der geldgebende russische Diamantenhändler sich wiederum das Savoy Baur en Ville und diesmal sogar den aktuellen Weltmeister geleistet. Dazu noch dessen letzten Herausforderer, den Ex-Champ und einen vielleicht zukünftigen Herausforderer.
Überraschend stark war die rechnergestützte Medienpräsenz; alleine aus dem russischen Sprachraum waren vier 2er-Teams anwesend, die lebhaft live kommentierten. Hat der Diamanten-Oligarch vielleicht grössere Pläne? Dazu Mr. Transmission himself Macauley Petersen aus den USA, Chessbase aus Hamburg und ein Reporter aus Indien. Sowieso waren etliche Inder im Publikum auszumachen und einige liessen sich mit ihrem Champ nach seiner Remis-Partie stolz ablichten.
Neben den Anand Anhängern (der Schachweltmeister ist in Indien seit Jahren ein Volksheld und nach Eiger, Mönch und Jungfrau momentan ein weiterer lässig zu bezwingender Swissness-Gipfel) waren die Kippa-bewehrten Gelfandis die zweite auffällige Fangruppierung. Obwohl just an jenem Tag Purim war und rings um die Synagoge im Kreis 3 die sonst strikt schwarz gewandeten Ultraorthodoxen mit weissen Zylindern, weissen Jackets und giftgrünen Krawatten flanierten, waren die jüdischen Schachenthusiasten eindeutig moderat gekleidet.
Auch der Rest des Publikums war vor allem männlich und, wie hierzulande seit jeher tradiert, weitgehend neutral. Leider war der besuchte Sonntagnachmittag etwas blutleer, was das Geschehen auf den karierten Spielfeldern anbetrifft. Da stand kein Brett in Flammen, es kam nicht zu dramatischen Zeitnot-Schlachten, und so war nur wenig Sitzfleisch vonnöten, um das für professionelle Schachspiele mit vier Stunden recht kurz anhaltende Geplänkel an den zwei Tischen durchzuhalten.
Sicher geht es auch hier um Ratingpunkte, aber so ein Einladungsturnier macht halt leider eher vorab satt und träge. Hinzu kommt, dass nächsten Monat in London das weitaus wichtigere diesjährige Kandidaten-Turnier stattfindet und zwei der Kandidaten hier am Start sind, welche sich natürlich nur ungern die häusliche Vorbereitung entlocken lassen, zumal der Titelverteidiger quasi vom Nebentisch aus neugierig kibitzt.
Anand, Gelfand, Kramnik, Caruana — der Flyer selbst ist ziemlich fade
Der Hobbyschweizer nimmt dennoch gerne an dem gratis erteilten Schachkurs teil, wird weiterhin sein Sitzfleisch tapfer stählen und sich in der bizarren Welt der Bourgeoisie am Paradeplatz tummeln.