Who is who

Die Finalstimmung war zwiespältig. Die supranationale Meisterschaft eines internationalen Wettbewerbs zwischen Vetretern nur eines Landes auszuspielen, hat, hm, eigentlich gar keinen Geschmack. Real Madrid gegen Bayern oder Dortmund gegen Barcelona klingt doch viel eher nach einem Leckerbissen als hausgemachter Eintopf. Obwohl der Gewinner bereits vorher feststand, war das Finale scheinbar gar nicht so schlecht; gesehen habe ich schlussendlich aber bloss Fragmente. Der freiwillige Verzicht auf häusliches TV ist erziehungstheoretisch vielleicht sowieso fragwürdig und Internet ist ja schön und gut, aber nicht bei der deutsch-deutschen Heimkehr ins fussballerische Mutterland. Da fehlt einfach was, Publikum zum Beispiel. Die Live-Atmo, das Menschelnde, der Geruch von Schweiss, Angst und wasweissich. Ja, was wusste ich schon…

Also ging ich fast pünktlich los zu der angesagten Sportbar am Idaplatz, wo einen als erstes die gleich am Eingang platzierte Hulk Hogan-Figur in voller Kampfmontur und Lebensgrösse lauernd beäugt. Dann endlich das typische Fluidum von stramm überfüllter Kneipe, nämlich eine ihr Verfallsdatum längst überschritten habende sauerstoffarme Luft mit deutlich wahrnehmbaren Nikotin-, Deodorant- und Alkoholanteilen. Der Wahl-Zürcher Rosenzüchter und Pay-TV-Kommentator Reif haut dann irgendwann die dem wohl momentan herrschenden nasskalten Klima entsprechende Metapfer „Im Mehltau der Taktik“ raus, was eine der zahlreichen weiblichen Zaungäste zu einer etwas überflüssigen Bemerkung veranlasst. Überhaupt hält die blonde Deutsche fast nie die Klappe und hat anscheinend hochgradiges Küppli-Fieber und ist für den BVB. Da sind mir die zwei artig gelbe Trikots tragenden Dortmund-Fans direkt vor mir viel lieber; beide hoch konzentriert aufs Wesentliche, nämlich das Spiel. Der eine hat sogar extra ein niedliches Kreuz aus Kreppband über seinen schwarzgelben Götze 10-Rücken geklebt. Die zwei deutschen Gastarbeiter links neben mir unterhalten sich etwas zu laut über ihre ach so tollen Jobs bei UBS und anderen Geldwäschereien und scheinen gar nicht zu begreifen, dass heute Abend „wichtig-ist-auf-dem-Platz“ gespielt wird. Als kurz nach der Halbzeitpause die Teutonien regierende Kanzlerin eingeblendet wird und ein erheblicher Teil meiner verblendenter Landsleute in blinder Heimatliebe tatsächlich in „Angie-Angie“-Sprechchöre verfällt, ist mir der Spass vergangen und genommen und ich weiche freiwillig vor derart Deutschtümmelei im Ausland.

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Bei der ziellosen Überlegung, ob ich denn überhaupt noch etwas von der gerade stattfindenden Live-Übertragung von „Made-in-Germany“ erdulden mag, stosse ich in der Langstrasse auf eine ausgelassene Gruppe sich intensiv unterhaltender taubstummer Jugendlicher, deren Anblick mir irgendwie sympathisch erscheint. Die hinter dem animierenden Treiben liegende Eckkneipe bietet einladend eine Grossleinwand, airkonditionierte Luft und deutsches Qualitätsfernsehen ohne Reif. Beim Eintreten registriere ich erstaunt, dass ich während meiner Ziellosigkeit das Führungstor der Roten verpasst habe, bin aber rechtzeitig zum Elfmeter für die Gelben wieder richtig drin im Spiel. Ich bin mir relativ sicher, dass der Grüne von den Roten den gelben Penalty halten wird. Als dann wider Erwarten der Ball eindeutig im Netz zappelt und der ganze Laden aus voller landsmännischer Freude tobt, bemerke ich, dass hier gar keine Taubstummenparty stattfindet, sondern es sich bei der Eckkneipe um ein fest in Secondo-Hand befindliches türkisches Internetcafe handelt! Gündogan, oweh, können die Roten nicht mal den Özil Mesut hoam bringen? Ich jedenfalls nichts wie raus, das Spiel geht unentschieden weiter.

Da kommt mir die Mars-Bar in den Sinn, eine Hardcore-Fussballkneipe, die gerne von relativ entspannten FCZ-Anhängern frequentiert wird und wo ich vorurteilsbewusst keinerlei trikottragende Teutonen oder scheinassimilierte Türken erwarte. Kaum bin ich drin, klärt ein Gelber vor einem einschussbereiten Roten gefühlte 3,8 Zentimeter vor dem linken Torpfosten. Einfach unglaublich, der Ball war doch schon drin! Wahnsinn, wie der Gelbe das Runde da noch weg haut. Reeeeschpekt. Zeitgleich mit dem brillanten Tackling ertönt neben mir ein emotional total durchgeknallter Gelbseher, dessen Gesichtsfarbe rasch ins Rote wechselt. Der hochdeutsche Berserker brüllt mittlerweile inbrünstig und mit einer nach dringend stationärer Behandlung schreiender Lautstärke eigentlich unaussprechbare Verwünschungen gegen die rote Nummer 33 samt dessen überhaupt nicht mit tuender Mutter. Mannomann. Ich fühlte mich an die späten 90er erinnert, als ich in einer Kreuzberger Institution namens Weisse Taube ein Spiel Gelb gegen Rot verfolgte, welches meine damals noch akute Fussballfaszination aufgrund der an jenem Abend im bierseligen Kneipenpublikum erlebten Agressivität erheblich und nachhaltig linderte. Überhaupt ist die fehlende Bereitschaft zur abgeklärten Abstraktion, eine durch zahlose Seven-Army-Gewaltmärsche scheinbar verloren gegangene gesunde Distanz zu der hemmungslosen Event-Sucht das wirklich Abschreckende im modernen Fussball-Spektakel.

Noch bevor sich der irrsinnig gewordene Typ wieder ein kriegte, war ich wieder an der frischen Luft.

Das an den vielstrangigen Geleisen, welche alle zum naheliegenden Zürcher HB führen, gelegene Piccolo Giardino war dann mein kleines persönliches Finale. Keinerlei Hektiker am Start, Alkoholpegel der Gäste im Schweizer Normalbereich und gute Bildqualität im kühlen Freien. Detail am Rande: keine Frontalbeschallung, sondern der Sound wird mittels kleiner Transistorradios auf FM 104kommasonstwas in tischgerechten Häppchen sanft serviert. Schöne Sache das. Das Wichtige ist wieder auf dem Platz und der ganze Rest im Äther. Kurz darauf sieht man die Kräfte der Gelben langsam schwinden. Rot drückt, schiesst oft und trifft zu guter Letzt ziemlich schön. Lautlos bereite ich kurz die Arme in die eiskalte Vollmondnacht und wandle anschliessend stocknüchtern aber seltsam erheitert zurück auf meinen heimatlichen Berg. Zudem war die Gewissheit, dass man sich nicht mir nichts, dir nichts einfach einen Verein aussuchen kann, weil einen der Verein nämlich schon selber aussucht, wieder viel viel deutlicher zu spüren. Unterwegs schnappe ich noch die üblichen TV-Bilder von weinenden Verlieren und überschwänglichen Siegern auf. Einige der Sieger haben ihre jeweiligen Nationalfahnen um die Hüften geschlungen — einem der übermütigen Roten hängt ein weisses T-Shirt aus der Sporthose, auf dem ein schlichtes Herz nebst den Worten Papa und Mama prangen. Dieses Schlussbild steigerte meine Erheiterung ins fast schon Groteske und ich war mit dem Abend zur Gänze versöhnt.

Ein Gedanke zu „Who is who

  1. Respekt, dass du das durchgehalten hast und du dort überhaupt hingegangen bist.
    Spätestens – aller spätestens – nach den Angie gerufe wäre ich auch gegangen. Da kann sie sich noch so „freuen“.
    Und du hast ja meinen Rat befolgt, und es nicht mehr unter Deutsche Spinner zu schreiben, sondern unter Andere. :))
    Hab das irgendwie noch nie verstehen können, dass man mit Fussball so mitfiebert. Aber ja. Da bin ich die falsche Zielgruppe, denn es verbindet und stiftet Identität. Wie du bei deinem Abend gesehen hast.
    Und „Mia san mia, mia san stärker ois die Stier, mia san stärker ois die Bam, weil mia echte Bayern san.“ heisst soviel wie “ Wir sind wir, wir sind stärker als die Stier, wir sind stärker als die Bäume, weil wir echte Bayern sind.“
    Zum Glück spreche ich nicht bayrischen Dialekt, der hört sich einfach nicht schön an.

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